Vor fast genau einem Jahr hat für mich das bisher größte Abenteuer meines Lebens begonnen. Ich hatte mich dazu entschieden ein Jahr lang auf eine kanadische High School zu gehen und währenddessen bei einer kanadischen Gastfamilie zu wohnen. Nach einem Auswahlprozess habe ich mich schließlich mit Unterstützung des isec-Teams dazu entschieden, in die Hauptstadt Ottawa zu gehen und dort die Colonel By Secondary School zu besuchen. Die Möglichkeit die Stadt und sogar die Schule auszuwählen, ist einer der vielen Vorteile die isec gegenüber anderen Schüleraustauschorganisationen bietet. Nachdem ich den Bewerbungsprozess durchlaufen hatte, wartete ich gespannt auf die Zuteilung meiner Gastfamilie. Diese wurde entsprechend meinen Wünschen und Interessen ausgewählt. Zu meiner Überraschung bekam ich schon im März die Informationen über meine Gastfamilie, obwohl es ja erst im August für mich losgehen sollte. Ich würde das Jahr lang bei Lucie wohnen, die in einem schönen Reihenhaus ganz in der Nähe des Ottawa Rivers lebt. Als ich sie daraufhin kontaktierte, erfuhr ich, dass ich ihre erste Austauschschüler/in sein werde und es daher auch für sie eine neue Erfahrung sei. Seitdem hatten wir uns dann regelmäßig E-mails geschrieben und sie hatte mir beschrieben, auf was ich mich in Ottawa einstellen kann, mir Tipps für Kleidung, Schuhe etc. gegeben und sich schon im Vorfeld um Sachen, wie zum Beispiel eine kanadische SIM-Karte für mich, gekümmert. Ich kann wirklich sagen, dass wir uns auf Anhieb gut verstanden haben, was nicht zuletzt an den vielen Interessen liegt, die wir beide gemeinsam haben. Da ich mir also über die Gastfamilie keine Sorgen machen musste, stieg meine Vorfreude von Tag zu Tag mehr, bis es dann am 26.August endlich soweit war und ich nach Kanada aufbrach.
Nach der Verabschiedung von meiner Familie und meinen Freunden saß ich dann im Flugzeug auf dem Weg nach Ottawa. Dort angekommen, wurde ich von Lucie und ihrer Nichte, die ungefähr in meinem Alter war, ganz herzlich empfangen. Bei Lucie zu Hause hat sie mir dann mein Zimmer gezeigt, welches sehr schön eingerichtet war. Lucie hatte sich vor meinem Abflug nach meiner Lieblingsfarbe erkundet und dann mein Zimmer mit roten Accessoires dekoriert. Ich habe mich auf Anhieb wohl- und zu Hause gefühlt. Lucie hatte sich ein paar Tage frei genommen, um mir bei der Eingewöhnung zu helfen. Sie hat mir das Bussystem erklärt, ist mit mir zu meiner Schule gefahren, damit ich meine Kurse wählen konnte und hat mir die Umgebung gezeigt.
Die Verständigung mit ihr hat sehr gut funktioniert und sie hat mich beim Erlernen der Sprache unterstützt. Wir haben sowohl Englisch als auch Französisch geredet, da ich mich in beiden Sprachen verbessern wollte. An meinem dritten Tag sind wir zusammen in die Innenstadt gefahren, die von ihrem Haus ungefähr eine halbe Stunde entfernt ist. Dort hat sie mir einige Sehenswürdigkeiten gezeigt, wir waren Einkaufen und waren bei einem lateinamerikanischen Straßenfest, das mich an den Karneval der Kulturen in Berlin erinnert hat.
Der Tag war perfekt mit schönem Wetter und ich hatte mich auf den ersten Blick in Ottawa mit all seinen grünen Parks und den wahnsinnig tollen Aussichtspunkten auf den Ottawa River verliebt.
Da ich noch eine Woche Ferien hatte und niemanden richtig kannte in Ottawa, habe ich etwas mit Lucies Nichte unternommen. Wir sind zusammen Boot gefahren auf einem schönen kleinen See und haben das gute Wetter genossen, da es selbst im August noch sommerlich warm war und die Sonne viel geschienen hat.
Am 03. September war dann mein erster Schultag an der Colonel By Secondary School. Ich hatte Englisch, Mathe, Französisch, Spanisch, Business, Technology, Outdoor Education und Psychologie als Fächer gewählt. Die Schüler waren alle sehr nett und aufgeschlossen und haben mich integriert. Dadurch habe ich mich schon sehr bald als ein langjähriges Mitglied in der Schulgemeinde gefühlt. Die Fächer und die Lehrer haben mich ebenfalls sehr begeistert. Der Umgang mit den Lehrern ist in Kanada deutlich freundlicher und entspannter und sie gestalten den Unterricht interessant und abwechslungsreich.
Outdoor Education hat sich im Laufe der Zeit zu meiner Lieblingsklasse entwickelt, da ich so viele neue Erfahrungen gemacht habe und mich mit vielen Leuten in dieser Klasse angefreundet hatte. Einige der Sportarten, die wir ausprobiert haben sind Fahrradfahren, Kanufahren, Skilanglauf, Schneeschuhwandern, Rodeln und Football. Das Highlight des Kurses waren die beiden Campingtrips, die wir unternommen haben. Bei dem Ersten haben wir am Madawska River, nördlich von Ottawa, gecampt und sind tagsüber Kanu gefahren. Das war eine besonders tolle Erfahrung, da ich Kanufahren und Campen noch nie zuvor ausprobiert hatte. Für unseren zweiten Trip sind wir zum wunderschönen Lac Philipe gefahren und haben dort gecampt, sind Wandern gegangen und haben Orienteering gemacht.
Meine Schule war generell sehr vielseitig, so war ich zum Beispiel bei zwei School dances mit meinen Freunden und habe bei der Theateraufführung das Set mitgestaltet. Am Ende des Schuljahres gab es dann eine Gala, ähnlich wie die Oscars, für alle Theaterproduktionen der Schulen aus Ottawa, bei der die Schauspieler und die Crews in unterschiedlichen Kategorien Preise erhalten haben.
Auch das Sportangebot war wesentlich größer und abwechslungsreicher als an den meisten deutschen Schulen. Ich bin dem Skiclub beigetreten, bei dem wir acht Wochen lang jeden Mittwoch nach der Schule Skifahren gegangen sind. Das hat mir total viel Spaß gemacht, da es eine tolle Möglichkeit war, neue Leute kennenzulernen und Kanada sowieso ein Wintersportland ist. Außerdem bin ich mit auf einen Skitrip in die USA gefahren. Mit 40 Schülern der 11. und 12. Klasse sind wir für ein Wochenende nach Vermont gefahren und dort drei Tage lange auf tollen Hängen Ski gelaufen. Insbesondere durch diesen Trip habe ich mich auch mit vielen Zwölftklässlern angefreundet und hatte ein sehr schönes Wochenende.
Ein weiteres Highlight in meiner Schule war “Relay for Life“, ein Charity Event für die kanadische Krebsstiftung, das jedes Jahr an der Colonel By Secondary School stattfindet. Dafür haben wir im Vorfeld ein Team gebildet, ein Team-Shirt designt und Spenden gesammelt. Zusammen mit meinen Freunden habe ich das „S.W.A.T. – Students with a target“ – Team gegründet und wir haben insgesamt über $1000 an Spenden eingesammelt. An dem Tag des Events waren wir den ganzen Tag lang auf dem Sportplatz unserer Schule und haben mit ehemaligen Krebspatienten geredet, Teamwettbewerbe und eine Endlosstaffel veranstaltet, um so viele Spenden wie möglich zu erhalten. Insgesamt war es ein sehr gelungener Tag, da es ein tolles Gefühl war, Zeit mit seinen Freunden zu verbringen und gleichzeitig etwas für den guten Zweck zu erreichen.
Die Stundenzeiten meiner Schule haben mich ebenfalls sehr begeistert, da sie viel kürzer waren als an in Deutschland. Der Unterricht ging jeden Tag von 9:15 bis 15:15. Nach der Schule und an den Wochenenden habe ich viel zusammen mit meinen Freunden unternommen. Ottawa bietet mit seiner Vielseitigkeit tolle Möglichkeiten für Unternehmungen. Parks, Frozen Yogurt, Lagerfeuer, Festivals, ein Color Run und Shopping im Byward Market waren sind davon. Im Winter bin ich am liebsten auf dem zugefrorenen Rideau Kanal, der längsten öffentlichen Eislaufbahn der Welt, Schlittschuhlaufen gegangen.
Da es nur eine halbe Stunde von Lucies Haus entfernt war, standen Besuche des Kanals häufig auf dem Programm.
Besonders an den Wochenenden und in den Ferien war ich auch oft mit Lucie unterwegs. Über Weihnachten sind wir zu ihrer Familie gefahren. Ihre Mama, ihr Bruder, seine Frau und ihre zwei Kinder wohnen alle in Sturgeon Falls, ein kleiner Ort fünf Stunden nördlich von Ottawa. Dort hat uns ein wahres Winterparadies erwartet. Malerische kleine Häuser mit ganz viel Schnee bedeckt und dazu Weihnachtsdekoration überall haben eine wunderschön gemütliche Atmosphäre geschaffen. Ich wurde von Lucies Familie mit offenen Armen empfangen und alle haben sich viel Mühe gegeben, mir die schönsten Seiten von Kanada zu zeigen. Zusammen mit Lucies Bruder und seiner Frau habe ich eine Skimobilfahrt durch den Winterwald gemacht, mit anschließendem Lagerfeuer und Rösten von Marshmallows und Hot Dogs. Außerdem waren wir Schneeschuhwandern und Skilanglaufen. Heiligabend saßen wir dann alle zusammen am Weihnachtsbaum, haben heiße Schokolade getrunken und Geschenke ausgepackt. Insgesamt war es eine wundervolle Zeit bei Lucies Familie und ich wäre gerne noch länger in Sturgeon Falls geblieben.
Durch das Auslandsjahr habe ich nicht nur die kanadische Kultur besser kennengelernt, sondern Leute aus der ganzen Welt getroffen. Meine Organisation „The Canada Homestay Network“ hat einige Trips für Austauschschüler in Ottawa organisiert. Zusammen mit Schülern aus Deutschland, Italien, Mexiko und Kolumbien bin ich nach Montréal gefahren und zu einem Eishockeyspiel in Ottawa gegangen.
Ich hatte sogar eine weitere Austauschschülerin an meiner Schule. Sie kam aus Mexiko, wir waren in der gleichen Outdoor Education Klasse und haben unter anderem die Campingausflüge zusammen unternommen. Außerdem haben wir auch nach der Schule viel Zeit zusammen verbracht, zum Beispiel ein Abend mit deutschem und ein Abend mit mexikanischem Essen. Durch das Auslandsjahr ist sie zu einer meiner besten Freundinnen geworden und ich plane im Moment, sie nächstes Jahr in Mexiko zu besuchen.
Letztendlich ist die Zeit wahnsinnig schnell vergangen und auf einmal war es dann schon Juni, die Schule war vorbei, die Abschussprüfungen geschrieben und der Abschied sehr nahe. Zwei Wochen bevor meine Mama gekommen ist, um mich abzuholen, haben mich meine Freunde unter einem Vorwand in ein Restaurant gelockt, wo sie ein Überraschungsabschiedsdinner für mich organisiert hatten. An dem Abend haben wir so viel zusammen gelacht und den Plan entworfen, uns eines Tages alle in Berlin zu einer Wiedervereinigung zu treffen. Außerdem habe ich kleine Abschiedsgeschenke überreicht bekommen. Am 1. Juli habe ich dann als wirklichen Abschied mit allen meinen Freunden zusammen den „Canada Day“ gefeiert. Angezogen in rot und weiß und mit Kanadaflagge ausgerüstet waren wir von mittags bis spät abends in der Innenstadt und haben mit tausenden anderen Kanadiern zusammen gefeiert.
Es gab Konzerte von kanadischen Sängern/innen wie zum Beispiel Serena Ryder und abends ein atemberaubendes Feuerwerk über dem Ottawa River. Einen schöneren letzten gemeinsamen Tag mit meinen Freunden hätte ich mir nicht wünschen können.
Am nächsten Tag kam dann schon meine Mama, die sich sehr darauf gefreut hatte, Lucie kennenzulernen und Ottawa zu sehen. Zuerst sind wir allerdings herumgereist und haben uns Montréal, Toronto und New York City angeguckt. Am Ende haben wir noch ein paar wunderschöne Tage mit Lucie in Ottawa verbracht und dann hieß es Mitte Juli Abschied nehmen und ich bin zusammen mit meiner Mama wieder nach Berlin zurückgeflogen.
Wenn ich jetzt auf das Austauschjahr zurückblicke, kann ich mit Überzeugung sagen, dass es die beste Entscheidung meines Lebens war, nach Kanada zu gehen. Das Jahr hat mir nicht nur dabei geholfen, mich in Englisch und Französisch zu verbessern, sondern auch meine Persönlichkeit stark beeinflusst. Ich habe gelernt selbständiger und auch selbstsicherer und offener zu sein. Kanada hat mich mit all seinen Schönheiten, der Kultur und den unglaublich freundlich Kanadiern verzaubert und es ist mir sehr schwer gefallen, all das hinter mir zu lassen. Es wird immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen haben und ich hoffe, dass ich eines Tages die Möglichkeit habe, noch einmal hinzufahren um Lucie und meine Freunde zu besuchen.