Ein Auslandsjahr ist nie eine leichte Entscheidung, aber ist sie erstmal getroffen folgt eine Menge Papierkram, ein schwerer Abschied und ein mehr oder weniger langer Flug bevor man die Luft der Stadt schnuppert in der man ein Jahr verbringen wird.
Für mich war das ein einstündiger Flug nach Frankfurt und anschließend ein rund 10-stündiger Flug nach Vancouver in British Columbia.
Die Grenzbeamten sind Austauschschülern gegenüber sehr freundlich und verständnisvoll und so war die Einreise auch problemlos vorüber und ich wurde von meiner Gastmutter in Empfang genommen. Wir fuhren vom Flughafen zum Arbeitsplatz meiner Gastschwester, damit ich sie begrüßen konnte und dann ging es nach Burnaby, wo ich mein Auslandsjahr verbringen würde.
Die erste Woche war eine sogenannte „Orientation Week“ – im Programm standen unter anderem ein Englisch-Test (um herauszufinden ob man besser ESL oder normalen English-Unterricht nehmen sollte), zahlreiche Lesungen und Warnungen, hilfreiche Tipps und Tricks, ein Ausflug und ein Tag den wir in unserer eigenen Schule verbringen würden.

Vancouver Harbour

Vancouver am Abend, im Hintergrund die Science World
Letzteres dabei natürlich das Spannendste – da wir dort auch unsere Kurse erfahren würden. Schon in den ersten Tagen dort lernte man viele verschiedene Menschen kennen und schloss erste Freundschaften – besonders nachdem man dann herausfand, wer in der gleichen Schule sein würde.
Die Burnaby Central Secondary war meine Wunschschule und wir wurden dort auch sehr herzlich willkommen geheißen. Es hat uns schon überrascht wie viele Betreuer es dort gab, die einfach nur für die Schüler da waren – die den ganzen Schultag lang für uns erreichbar waren. Die Schule ist groß und unglaublich modern ausgestattet und besitzt ein großes Sportdepartment, ein Orchester, zwei Chöre, Theater und Improv-Gruppen und noch vieles mehr. Ein voll ausgestattetes Labor, dass die meisten deutschen Schulen alt aussehen lässt, zwei Sporthallen mehrere Computerräume, eine Auto- ,eine Holz- und eine Robotik Werkstatt, Küchen und eine von Schülern geführte Cafeteria und noch vieles mehr …
Die Kurse reichten von den typischen akademischen und geistlichen Fächern wie Chemie, Geschichte, Psychologie usw. Bis zu ausgefallenen häuslichen Koch – und Backkursen, sowie Näh- und Designkursen , über handwerkliche und künstlerische Bereiche z.B Mechanik, Robotik, Skulptur & Malerei, Photographie, Theater usw. Viele musische Angebote wie Band, Orchester, Chor u. A. Und noch vieles mehr, auch stark von Schule zu Schule variierend – aber nichts desto trotz viel „ausgefallener“ und abwechslungsreicher als in Deutschland.

Butchart Gardens, Vancouver Island im Herbst
Und nicht viel später hat dann auch schon die Schule angefangen – der gefürchtete und erwartete erste Tag war ganz entspannt – es hieß erstmal kennenlernen, besprechen und eingewöhnen für alle – anders als in Deutschland gibt es in Kanada nämlich zwei verschiedene Schulsysteme : linear und semester – ich war auf einer Semesterschule, d.h. ich hatte pro Semester 4 Fächer, im Gegensatz dazu hat man beim linearen System alle 8 Fächer über das ganze Jahr lang.
Mein erstes Semester war unglaublich einfach: ich hatte Biologie in der ersten Stunde danach „Creative Wood Art Metal“ dann war erstmal Mittagspause und danach hatte ich dann zwei Kunstkurse – im selben Raum, mit dem selben Lehrer: einmal Zeichnen und Malen, das andere Mal Skulptur und Keramik. Im zweiten Semester hatte ich dann Chemie 11, PreCalculus 11 , Psychologie 11 und Englisch 11. Grundsätzlich gilt hier: die meisten deutschen Schulen sind im Stoff schon weiter als die Kanadier in gleichen Klassenstufe. Dazu muss man aber auch sagen, dass das kanadische Schulsystem um einiges lockerer als das deutsche ist – egal um welche Fächer es sich handelt. Deadlines werden einfach verlängert, nicht gemachte Hausaufgaben sind auch nicht so schlimm und solange man eine gute Ausrede hat lässt sich eigentlich so ziemlich alles regeln. Allerdings ist das Verhältnis von Lehrer und Schüler dann auch ein ganz anderes: sehr freundschaftlich und vertrauensvoll – wenn man etwas wirklich nicht versteht, kann man sicher sein das einem sofort geholfen wird. Die eigenen Probleme werden sehr ernst genommen, man kann also auch so zu einem Lehrer seines Vertrauens gehen und um Hilfe bitten, ob es nun etwas mit der Schule zu tun hat oder nicht. Der Focus liegt hier ganz klar auf dem einzelnen Schüler.

Hockeyspiel der Universität SFU
Freunde finden – noch so ein Thema über das man sich vor dem Abflug, oder eher vor der Entscheidung noch Gedanken macht – das ist so auch ganz normal, jeder denkt daran, dass man ja für eine lange Zeit seine vertrauten Freunde zurücklässt. Aber macht euch mal keine Sorgen – ihr seid da nicht allein, jeder macht sich diese Gedanken, jeder lässt seine Freunde zurück und zieht los und ist erstmal allein, aber lasst euch davon nicht abschrecken: Internationale Freunde findet man leicht – man hat ja so viel gemeinsam, kann sich über das Meiste sehr einfach unterhalten, denn man teilt viele Ängste und Erwartungen!
Sich mit Kanadiern anzufreunden ist da schon schwieriger – aber sobald man sich in ein paar der zahlreichen und verschiedenen Clubs einbringt und einfach offen auftritt – einfach mal ansprechen, fragen oder um Hilfe bitten – dann passiert auch das schon fast wie von allein. Ich habe hier enge Freunde gefunden mit denen ich auch, nachdem mein Auslandsjahr vorbei war, in Kontakt geblieben bin…

Deep Cove, Quarry Rock Hike

Ein Totempfahl in Vancouver

Wanderwege rund um Capilano, ca. 1 Stunde entfernt von Waterfront Station
Da Auslandsschüler in meinem Schuldistrikt keine Seltenheit waren, wurden regelmäßig extra Trips organisiert. Diese reichten dann von ein – bis zweitägigen Skifahrten nach Whistler, nach Tofino oder Victoria bis hin zu längeren Ausflügen in die Rockies oder ins Yukon Territory.

Yukon-Trip, auf der Alayuk Huskyfarm kurz vorm Hundeschlittenfahren

Yukon-Trip, Hundeschlittenfahren

Emerald Lake im Januar, Yukon Territory
Das ist eine gute Möglichkeit neben der eigenen unmittelbaren Umgebung auch noch viele verschiedene Orte seines Gastlandes kennen zu lernen. Ich habe an vielen dieser Trips teilgenommen und fand jeden von ihnen einfach einzigartig und unvergesslich. Zum Beispiel habe ich den Rockies-Trip im Herbst mit meinen Freunden zusammen unternommen, da ging es dann unter anderem nach Banff und zu verschiedensten Seen, Wasserfällen und anderen atemberaubenden Sehenswürdigkeiten. Hier hat man dann auch besonders viel Zeit seine Freunde besser und besser kennenzulernen – es gibt so viele kulturelle Unterschiede, von denen man gar nichts weiß und wenn man dann plötzlich Freunde aus der ganzen Welt hat (u.a. zum Beispiel Taiwan, Thailand, Italien, Brasilien usw.) dann wird einem erstmal klar wie unwissend man doch manchmal ist – und wie viele Freunde man auf der Welt haben könnte, wenn man sie nur treffen würde.

Blick auf Banff vom Sulphur Mountain
Gastfamilien – noch so ein Thema, das werdende Gastschüler beschäftigt. Ich selber habe mehr und auch weniger schöne Erinnerungen an meine Gastfamilien. Erstmal vorneweg – seid offen für Neues und löst euch von der Idee der „perfekten“ Gastfamilie, die existiert einfach nicht, so wie keine Familie je perfekt ist. Seid freundlich und höflich – diese Familie lässt euch in ihr Leben und nimmt euch auf – aber scheut euch nicht Probleme oder Unklarheiten anzusprechen, denn ohne Kommunikation kommt ihr nirgends weiter.
Anders als viele meiner Freunde wurde ich mit meiner Gastfamilie nicht warm – ihr Englisch war gebrochen und so fühlte ich mich nicht imstande wirklich mit ihnen zu kommunizieren, was einfach zu einer permanenten Unsicherheit meinerseits geführt hat. Ich habe meine Gasteltern außerdem kaum gesehen und so eben auch kaum mit ihnen gesprochen – und sie nicht mit mir. Oft saß ich allein am Tisch und aß in Stille während meine Gasteltern im angrenzenden Wohnzimmer Fernsehen sahen oder mit ihren Handys spielten. Ich begann mich mehr und mehr wie ein zahlender Gast –nicht wie ein Teil der Familie zu fühlen – und da war dann auch meine Grenze erreicht.
Wenn euch so etwas passiert, auf die eine oder andere Weise, dann scheut euch nicht so schnell wie möglich mit den Verantwortlichen an eurer Schule oder mit ISEC in Kontakt zu treten und lasst euch von einem Gastfamilienwechsel nicht einschüchtern –

Deer Lake Park, Wintermorgen mit Blick auf die Stadt / Schnee in der Stadt ist eigentlich untypisch für Vancouver
Ihr allein entscheidet was geht und was nicht und wenn ihr keine Hoffnung auf Besserung in naher Zukunft seht, dann ist das euer Recht, schließlich ist es euer Auslandsjahr. Natürlich geht es auch ganz anders, viele meiner Freunde fanden wirklich nette und unglaublich engagierte Gastfamilien in denen sie sich von Anfang an wirklich wohl fühlten und mit denen sie auch nach dem Jahr noch in Kontakt blieben.
Ein Gastfamilienwechsel ist auch nichts wirklich Ungewöhnliches – im Gegenteil, es ist ganz normal und nichts wovor man Angst haben muss. Auch mir ging es nach meinem Gastfamilienwechsel gleich viel besser – meine neue Gastfamilie bestand aus meinen Gasteltern, meiner Gastschwester die in meinem Alter war und meinem Gastbruder, der ein paar Jahre jünger war und zwei Hunden – Mocha und Pugsley. Sie alle sind sehr freundlich und warmherzig – ich habe abends meist mit meiner Gastmutter zusammen gekocht und konnte dabei über vieles mit ihr reden, dann zusammen gegessen, Filme geschaut oder waren mit den Hunden unterwegs. Einerseits ist es natürlich nie einfach sich in eine neue Familie einzugliedern, allerdings merkt man schon recht schnell ob man in „seine“ Familie passt oder nicht und so ging es auch mir – ich wusste fast sofort, dass es mir hier bessergehen würde!
Und so sollte es auch euch nach einem Gastfamilienwechsel gehen – an sich hört es sich nach einem, unangenehmen Vorgang an, der es auch sein kann aber nicht muss, allerdings wird es euch damit bessergehen als in einer Familie zu bleiben in die ihr einfach nicht passt, aus welchen Gründen auch immer. Traut euch, denn ihr seid diejenigen die mit eurer eigenen Entscheidung leben müsst!

Lake Louise im Herbst (Rocky Mountains)
Ich könnte noch ewig weiterschreiben und von meinem Auslandsjahr berichten – ein paar A4 –Seiten würden dazu nicht ausreichen, aber um es abzukürzen, kann ich nur eines sagen:
Dieses Jahr war das Beste, was mir hätte passieren können und ich liebe es mit all seinen Ecken und Kanten, akzeptiere jedes Hindernis, das mich wachsen ließ, vermisse jeden Freund, den ich treffen durfte und sehne mich nach „meiner“ Stadt.
Ich bereue nichts und empfehle jedem, der diese Chance hat, sie unbedingt zu nutzen.