Bevor ich beginne über mein Auslandsjahr zu erzählen, muss ich sagen, dass egal wie viele gute oder schlechte Eindrücke ich jeweils gesammelt habe, dieses Jahr mit Abstand das beste Jahr überhaupt gewesen ist.
Als ich in meiner Gastfamilie erstmals angekommen bin, hatte ich es anfangs schwer, mich einzuleben, da viel mehr von mir erwartet wurde, als zuvor. Ich habe zuerst deren Anforderungen nicht entsprochen und hatte Heimweh. Doch es hat nur ein paar Wochen gedauert, bis ich mich komplett eingelebt hatte. Ich hatte kleine süße Zwillings-Gastgeschwister, 5 Jahre alt, welche mir die ersten Wochen mit ihrer Neugier über ihre neue Mitbewohnerin viel einfacher gemacht hatten.
Doch über den Stress beim Einleben sollte man sich keine Sorgen machen, denn jeder normale Mensch bräuchte erstmal eine Weile, um sich an dieses neue Leben mit einer komplett neuen und fremden Familie zu gewöhnen. Kurz darauf habe ich ja auch neue Freunde gefunden!
Wenige Tage nach meiner Ankunft in Kanada bin ich schon in die Schule gegangen. Diese Schule war gigantisch groß und eine typische „High School“. Diese High School war wie eine Schule aus einem High School-Movie. Ich weiß noch, wie einschüchternd die ersten paar Wochen für mich waren. Viele Sachen waren mir fremd, z. B. die Spinde, die Schüler und deren Verhaltensweisen etc. Den ersten Schultag werde ich nie vergessen, da ich unendlich nervös war und vielen neuen Gegebenheiten ausgesetzt wurde. Zur Schule bin ich mit dem gelben Schulbus gefahren. Dieser Bus fährt nur einmal täglich, sodass man immer pünktlich sein musste, um den Bus zu erwischen. In dem Bus gibt es eine Sitzordnung, die einzuhalten ist. Ganz vorne sitzen die Sec-1 Schüler und es reiht sich nach hinten auf bis Sec-5, der höchsten Stufe. Ich wusste die ersten paar Tage nicht, wo ich mich im Bus hinsetzen sollte und habe mich auf die Sec 1-Sitze gesetzt, obwohl ich in der Sec-5 und damit höchsten Klasse war. Damit haben meine Mitschüler gedacht, ich wäre eine Schülerin der untersten Stufe 🙂
Die Schule an sich hat mir erst Angst gemacht, da sie gefühlt 10 Mal größer als meine alte Schule war. In den ersten zwei Monaten habe ich mich fast jeden Tag verlaufen und konnte meine Klassenzimmer nicht finden. Ich musste immer fragen, was für mich anfangs mit meinen damaligen Sprachkenntnissen nicht einfach war. An jeder Wand waren Spinde angebracht, wie man es aus High School Filmen kennt. Auch ich habe meinen eigenen 2 Meter großen Spind bekommen. Die Struktur des Stundenplans dort hat sich komplett von dieser in Deutschland unterschieden. Es gab einen 10-Tage Plan und keinen 5-Tage plan, wie wir es hier kennen. In der Highschool, in die ich gegangen bin, gab es die Pflichtfächer Math, English, French, Financial Literacy, Contemporary World, Ethics & Religious Culture und Physical Education. Zusätzlich musste man zwei weitere Profilfächer wählen, für mich waren diese Home Economics (Kochen und Haushaltsführung) und Visual Art (kreatives künstlerisches Malen), jeweils 2-3x die Woche für jeweils 75 min. Somit habe ich 1-2 Mal die Woche in der Schule gekocht und dazu gelernt, wie ein Haushalt richtig zu führen ist. Was noch toller war, ist, dass ich in Visual Art meinen künstlerischen Fähigkeiten freien Lauf lassen konnte. Profilfächer haben meine Schulwoche zu einem Traum gemacht. Angeboten wurden nicht nur diese beiden Fächer, sondern auch Fächer wie Drama, Weight Training, Outdoor Education, etc., tolle Fächer zum Entspannen.
Nach Kanada bin ich mit den Erwartungen gegangen, dass das Schulsystem dort anspruchsvoller als das deutsche ist. Jedoch wurde ich gleich in dem ersten Monat vom Gegenteil überzeugt. Nur mit wenig Mühe konnte ich in allen Fächern gut mithalten. Mit dem Erlernen der Sprache bin ich schnell vorangekommen, sodass ich mit dem Bewältigen des Unterrichtstoffes kaum Probleme hatte.
Schon vor meinem Auslandsjahr hatte ich immer das Bedürfnis gehabt, mehr Englisch zu sprechen und hatte es auch geliebt, diese Sprache ab und zu anwenden zu können. Daher hat mir der tägliche Gebrauch der englischen Sprache in der Schule riesen Spaß gemacht.
Ich habe in Montreal gelebt, der Stadt, in der zwei Sprachen gesprochen werden: Englisch und Französisch. Da ich eine englischsprachige Schule besucht habe, konnte ich leider meinen französischen Wortschatz nur wenig erweitern. Dennoch habe ich ein komplett neues und für mich fremdes Französisch kennengelernt: Das „Quebecois“. Diese Sprache ist eine Mischung aus Englisch und Französisch. Meine Mitschüler haben immer wieder zwischen Englisch und dem „Quebec-französisch“ gewechselt. Die beiden Sprachen haben sie vermischt, als wäre es ein und dieselbe Sprache gewesen. Für die ersten paar Monate war es für mich eine richtige Herausforderung, sie zu verstehen. Irgendwann habe ich mich daran gewöhnt und ich konnte zwar nicht genauso wie die Quebec Leute die Sprache fließend beherrschen, aber immerhin konnte ich sie verstehen.
Was mich überrascht hat, ist, dass nur den Schülern mit englischer Herkunft erlaubt wurde, eine englischsprachige Schule zu besuchen. Diejenigen mit französischer Herkunft mussten eine französischsprachige Schule besuchen. Demnach hatte ich keine französischsprachigen Freunde. Darüber hinaus war meine Gastfamilie ebenfalls englischsprachig, wodurch ich hauptsächlich mein Englisch praktiziert hatte. Jedoch hatte ich die Möglichkeit, die französische Sprache außerhalb der Schule und dem zu Hause anzuwenden: in den Supermärkten, im Gym, in meinem Wohnviertel von La Prairie (Vorort von Montreal). Die Tatsache, dass ich in der Schule in Deutschland Französisch belegt hatte, war von großem Vorteil.
Woran ich mich auch schwer gewöhnen konnte, war das Wetter in Montreal. Im Sommer kann es mal bis zu 30-40°C heiß werden, im Winter wiederum sinkt die Temperatur um die 70°C runter und erreicht somit -30 bis -40°C! Ich hatte das Pech, einen der kältesten und längsten Winter Montreals mitzuerleben. Es war eisig kalt! Aufgrund der extremen Kälte ist man bezüglich der Outdoor-Aktivitäten sehr eingeschränkt. Da viel Schnee dort im Winter liegt, bestehen perfekte Voraussetzungen zum Ski- und Snowboardfahren, wobei man allerdings sehr warm bekleidet sein sollte.
Da ich die letzte Jahrgangsstufe der High School besucht habe, hatte ich die Möglichkeit, an der Graduation Zeremonie teilnehmen zu dürfen. Ich durfte neben allen anderen Absolventen mit Toga und Graduation-Cap auf die Bühne, wo mir mein Diplom feierlich ausgehändigt wurde. Anschließend fand eine riesige Prom-Feier statt, die mit der Abi-Feier in Deutschland zu vergleichen ist. Um mein Prom-Ticket günstiger zu ergattern, musste ich von der Schule erhaltene Schokoladen-Boxen in der Schule sowie in meiner Nachbarschaft verkaufen.
Viele einheimische Gerichte habe ich kennengelernt, indem ich mit meiner Gastfamilie gekocht habe, was für mich eine interessante Erfahrung war. Am besten fand ich das einheimische Poutine, ein Fast-Food-Snack, wobei es sich um eine riesige Portion Pommes frites mit Cheddarkäse und brauner Bratensoße handelt. Diese ist nur in Quebec erhältlich. Ich hatte ebenso das Glück zwei Ahornsirup-Farms zu besichtigen und bei der einzigartigen Ahornsirup-Produktion zuzuschauen! Diese findet nämlich nur zwei Monate im Jahr( März und April) statt.
Bei meinen zahlreichen Ausflügen nach Montreal ist mir aufgefallen, dass diese Stadt vom Künstlerischen Aspekt her sehr geprägt ist. Über das Jahr verteilt finden unzählige Kunst-Events sowie Ausstellungen statt. Kurz vor meiner Abreise sind meine Freunde und ich Montreal noch einmal besuchen gegangen, um ein Kunst-Festival zu besichtigen. Dieses Festival zog sich über eine einzige Straße, die durch ganz Montreal verlief. Auf dieser wurden unzählige Graffiti-Bemalungen auf den Hauswänden ausgestellt und selbstkreierte Klamotten sowie Schmuck und Musik verkauft. Man konnte den Künstlern beim Kreieren ihrer Graffiti-Kunstwerke zuschauen. Solche Events finden im Sommer fast jede Woche statt. Eine riesige Ferrari Ausstellung, das Formel 1-Rennen sowie das Rogers Cup Tennis Turnier konnte ich ebenso miterleben.
Montreal hat so viel zu bieten, wie zum Beispiel die größte unterirdische Stadt der Welt. Diese Stadt wurde spezifisch für den Winter errichtet, damit bei den kalten Temperaturen, die dort herrschen, diverse Aktivitäten vorgenommen werden können. Sie ist gigantisch groß!
Über die Schule habe ich Freundschaften fürs Leben geschlossen. Zwar bin ich traurig, meine Freunde verlassen haben zu müssen, doch der Gedanke daran, diese Freunde bald wieder zu sehen, vielleicht sogar schon nächsten Sommer, macht mich sehr glücklich!