New Brunswick – Französisch plus eine andere Lebensweise!

Erfahrungsbericht von Annelin EschlerNew Brunswick

Schon seit langer Zeit habe ich mit dem Gedanken gespielt, an einem Auslandsaufenthalt teilzunehmen. Eher unüblich habe ich mich jedoch entschlossen erst nach der Schulzeit einen Schüleraustausch machen, was mit achtzehn Jahren relativ spät ist. Für Kanada habe ich mich dann aus verschiedenen Gründen entschieden. Nachdem ich in der Schule bereits Englisch und Französisch gelernt hatte, wollte ich mich auch während meinem Auslandsjahr mit beiden Sprachen befassen. Zudem bin ich gerne in nordischen Ländern, ich mag den Winter, den Schnee und die Kälte. Auch sonst schien Kanada die ideale Destination zu sein, ich hatte mich vor allem auf den bunten Herbst, einen ausgeprägten Winter und große naturbelassene Flächen gefreut.

Nachdem ich mich letztendlich für ISEC als meine betreuende Organisation entschieden und an den Informationsveranstaltungen teilgenommen hatte, habe ich im Frühsommer 2019 meine Gastfamilie zugeteilt bekommen. Dazu gehörten die Mutter Johanie, der Vater Thomas und der sechsjährige Sohn Xavier. Obwohl ich mich eigentlich für eine französische Schule mit Unterbringung in einer englischsprachigen Familie angemeldet hatte, sprach meine Familie hauptsächlich Französisch. Gewohnt habe ich etwas außerhalb von Moncton, einer der größeren Städte von New Brunswick, in einer Wohngegend, welche knapp zehn Kilometer von meiner Schule entfernt lag.

Meine Familie

Um ein wenig Zeit zur Eingewöhnung zu haben, habe ich mich entschlossen circa eine Woche vor Schulbeginn anzureisen. Am Flughafen wurde ich von meiner Familie inklusive der kleinen Cousine sowie von meiner Koordinatorin abgeholt. Ich war etwas überrumpelt von den vielen Leuten und auch dem großen Truck meiner Gastfamilie – ich bin noch nie in einem so großen Auto gefahren!

Direkt am ersten Tag bin ich mit meiner Gastmutter zu einem nahegelegenen Strand gefahren (wir sind trotzdem über eine Stunde gefahren), wo wir im Atlantik baden konnten. Außerdem waren wir beim Einkaufen in einem der riesigen Läden – der glich mehr einer Lagerhalle als einem Supermarkt!

Eis essen

Gleich am ersten Wochenende sind wir zum Campen gefahren, wobei wir den großen Wohnwagen genommen haben. Dort habe ich auch den Rest der Familie kennengelernt und wurde als internationale Schülerin schnell zur Attraktion auf dem Campingplatz. Alle haben sich sehr Mühe gegeben mich einzuschließen, mir wurde gezeigt, wie man Hummer richtig kocht oder S’mores macht.

Vor allem den französischsprachigen Kanadiern war es außerdem sehr wichtig, mir viel über die Geschichte und Kultur beizubringen. So besuchten wir das sogenannte “Le Pays de la Sagouine“, ein Freilichtmuseum, welches die Kultur und Architektur der Arkadier zeigt.

Am ersten Schultag habe ich zum ersten Mal den Schulbus genommen! Da meine Familie in einem Gebiet mit mehreren Schulkindern wohnte, musste ich einige Minuten zur Haltestelle laufen, wo ich von einem der typischen gelben Schulbusse abgeholt wurde. Meiner Meinung nach sind diese nicht sehr bequem und die Busfahrer fuhren etwas halsbrecherisch. Es war keine Seltenheit, dass man in sich in den Kurven festhalten musste, um nicht durch den Bus zu segeln.

In der Schule angekommen haben sich alle internationalen Schüler meiner Schule getroffen und gemeinsam ihren Stundenplan abgeholt, welcher in meiner Schule für jeden Schüler individuell war. Man konnte sich fünf Kurse aussuchen, von denen man jeden Tag jeweils vier hatte. Außerdem gab es jeden Morgen eine Schulstunde, in welcher es täglich eine Ansprache gab und man anschließend Zeit hatte seine Hausaufgaben zu machen oder Fragen zu stellen, wenn man in einem Fach Schwierigkeiten hatte.

Falls man die falschen Kurse zugeteilt bekommen hatte oder andere Probleme hatte, konnte man innerhalb der ersten Tage seine Kurse auch noch wechseln. So kam meine Betreuerin der Schule auf mich zu, ob ich am Musikunterricht teilnehmen möchte, was mir in meinem Eingewöhnungsprozess sehr geholfen hat. Dabei haben wir in einem kleinen Blasmusikorchester gespielt, welches zu einem der besten Schulorchester in Kanada zählt.

Ansonsten war der Schulstoff eher einfach und ich war trotz Sprachbarriere unterfordert. Außerdem fand ich es aufgrund von dauernd wechselnden Klassen für jedes Fach und viel Frontalunterricht etwas schwierig Anschluss zu finden. Viele der Schüler fingen auch keine Konversation von sich aus an und blieben eher unter sich. Zudem habe ich die Erfahrung gemacht, dass es nicht üblich ist Klassen zu wiederholen oder Freunde aus verschiedenen Altersgruppen zu haben und da ich mit achtzehn Jahren älter war als die meisten, reagierten viele irritiert.

Sehr interessant fand ich die vielen Sammelaktionen, welche in der Schule durchgeführt werden. Sei es Geld für die Krebsliga oder Sachspenden für arme Familie, die Schüler werden regelmäßig aufgefordert sich einzubringen. Diese Aktionen werden auch von den Lehrern sehr ernst genommen – unser Musiklehrer rasierte und färbte sich sogar den Bart um die Schüler zum Spenden zu animieren.

Am ersten Wochenende nach Schulbeginn organisierte die kanadische Austauschorganisation ein Informationswochenende für alle Internationalen Schüler im französischen Programm. In dieser Zeit wurden wir über die Regeln während dem Aufenthalt informiert und haben Spiele gespielt. Ich fand es schade, dass die Leiter vor Ort wenig Wert auf das persönliche Kennenlernen und die individuellen Bedürfnisse der Austauschschüler gelegt haben. Für mich war dieses Wochenende aber eine gute Möglichkeit Freunde zu finden. Dort habe ich auch meine beste Freundin während des Programms gefunden. Es hat mir sehr geholfen eine deutschsprachige Freundin in Kanada zu haben, welche ähnliche Erfahrungen gemacht hat und an welche ich mich jederzeit wenden konnte. Vor allem da sich der Kontakt nach Hause aufgrund der Zeitverschiebung und vielen Unternehmung oft eher schwierig gestaltete.

Meine Freundin lud mich auch bereits eine Woche später zu sich ein, um mit ihrem Gastvater Schiessen zu gehen. Ihr Gastvater war beim Militär und hatte daher die Möglichkeit uns mitzunehmen. Auf dem Schiessplatz konnten wir unter seiner Anleitung verschiedene Waffen ausprobieren und am Abend haben wir einen langen Strandspaziergang unternommen, da die Familie meiner Freundin direkt am Meer wohnte.

Am Strand

Während der nächsten Zeit unternahm ich viel mit meiner Gastfamilie. Wir besuchten den Fundy Nationalpark, wo wir wahnsinnig viele Eichhörnchen gesehen haben oder die Hopewell Rocks, wo der weltweit höchste Tidenunterschied gemessen wird. Da der Herbst bereits begann, haben wir auch einen Ausflug auf die Apfelplantage unternommen, um unsere eigenen Äpfel zu pflücken.

Ende September hat mich meine Freundin dann eingeladen mit ihr und ihrer Familie auf Elchjagd zu gehen! So sind wir dann an einem Mittwochabend in einem sehr vollgepackten Auto etwa drei Stunden durch den Wald gefahren und haben dann an einer Waldhütte angehalten. Es war stockdunkel und man konnte alle Geräusche des Waldes hören. Mit dem Wissen, dass es im Wald unter anderem Bären und Vielfrasse gab, haben wir uns am Abend nicht sehr weit von der Hütte weggetraut.

Am nächsten Tag ging es dann auch schon vor Tagesanbruch los auf Jagd. In einem kleinen Jeep sind wir die Waldränder abgefahren, alle in viel zu großen, leuchtend orangenen Pullovern, um von anderen Jägern gesehen zu werden. Bereits nach zwei Stunden war es dann auch schon vorbei und wir hatten einen Elch erlegt. Dieser wurde im Busch bereits ausgenommen, wobei alle viel Spass daran hatten uns Mädchen Hand anlegen zu lassen. Den Rest des Tages haben wir den Elch eigenhändig zerlegt und das Fleisch in Kühlboxen verpackt.

Im Wald

Wir haben noch einen weiteren Tag im Camp verbracht, an dem wir ein paar kleine Ausflüge unternommen und den Wald genossen haben. Dabei haben wir sogar einen Bären gesehen! Während unserer Zeit dort hatte der Indian Summer bereits begonnen sodass der Wald in den verschiedensten Farben leuchtete.

Indian Summer

Nachdem wir zurückgekommen waren, hatten wir zwei Tage vor uns, an denen wir das viele Fleisch verarbeitet haben. Das hieß die Sehnen entfernen, dann Steaks schneiden oder Hackfleisch machen und alles abpacken und einfrieren. So hatten wir uns unser Abendessen verdient, wo es lokalen Hummer gab!

Dank meiner Familie ergab sich ein Kontakt zu einer jungen Familie, deren Vater mich einige Male zum Fahrrad fahren mitnehmen konnte. Außerdem hatte ich dadurch die Möglichkeit an Rennen im nahegelegenen Park teilzunehmen, wobei sich herausstellte, dass einige der Jugendlichen an meiner Schule waren! Der Radsport und die Teilnahme an Rennen erleichterte es mir sehr Freundschaften mit Kanadiern zu knüpfen machte es mir viel einfacher Freundschaften zu knüpfen.

Beim Fahrrad fahren

Auch danach habe ich wieder viel unternommen. In Moncton gab es einen Klettergarten, in dem wir einen Nachmittag verbrachten, außerdem waren wir auf einem kleinen Ausritt in der Nähe des Fundi Nationalparks und haben ein Footballspiel meiner Schulmannschaft (inklusive einer Filmreifen “Promposal“) verfolgt.

Im Seilpark

Am Wochenende vor Thanksgiving habe ich wieder einige Tage mit meiner Freundin und ihrer Familie in der Jagdhütte verbracht, wo wir wieder einige Ausflüge unternommen haben und Elche, Rehe, Eulen und Eichhörnchen beobachten konnten! Für Thanksgiving sind wir zu Verwandten nach Tracadie gefahren, einem kleinen Dorf im Nordosten von New Brunswick, wo ein Großteil der französischen Bevölkerung von Moncton ihren Ursprung hat. Dort haben wir Bekanntschaft mit vielen Verwandten geschlossen und einige üppige Mahlzeiten (sowie eine warme Dusche) genossen. Außerdem nahmen wir als Familie am jährlichen Fotoshooting teil, welches in einem bunten Waldstück stattfand und wofür wir üppig geschminkt und frisiert wurden.

Halloween

Kurz darauf stand auch schon Halloween vor der Tür, für welches sehr eifrig geschmückt und die Kürbisse ausgehöhlt wurden. Zwischendurch fanden wir sogar einmal Zeit nach Prince Edward Island zum Mountainbiken zu fahren. Die Insel liegt östlich von New Brunswick und ist zwar nicht bergig, hat aber immerhin einige Hügel. Und natürlich wurde standesgemäss mit einem Burger und einem großen Eisbecher gefeiert. Außerdem wurde ich zu meinem ersten Hockeyspielt eingeladen! Obwohl es “nur“ die “Wildcats“, also die Juniorenmannschaft war, war die Halle fast voll und es wurde ordentlich Stimmung gemacht. Zu essen gab es Poutine, ein sehr typisches Gericht, welches aus Quebec stammt und aus Pommes, Bratensauce und Käse besteht.

Im November fand in Moncton die jährliche Weihnachtsparade statt und dutzende üppig geschmückte Wagen fuhren durch die Stadt, begleitet von Trommeln und kleinen “Weihnachtselfen“, welche die Wunschlisten der Kinder einsammelten. Zu der Zeit (also Ende November) hatten die meisten Kanadier auch ihre Weihnachtsbäume schon aufgestellt und die Häuser üppig geschmückt.

Anfang Dezember fand in der High School in Shediac der Winterball statt, eine Vorstufe der Prom, zu dem mich meine Freundin eingeladen hatte und wofür wir sogar unsere Kleider selbstgenäht hatten! Der Ball selbst war allerdings unspektakulärer als ich erwartet hatte und nach zwei Stunden und einigen Gruppenfotos schon wieder vorbei. Trotzdem war es ein großer Spaß gewesen die Kleider zu machen und sich vorzubereiten.

Vor Weihnachten veranstalteten wir mit der Musikklasse der Schule noch ein Weihnachtskonzert, an dem ich teilnehmen durfte. Wir wurden alle gleich eingekleidet, mit weißem Hemd und schwarzer Weste und hatten sogar verhältnismäßig viel Publikum. Auch von der Organisation in New Brunswick wurde eine Weihnachtsfeier veranstaltet, zu der alle Austauschschüler der Region eingeladen waren.

Für Weihnachten selbst fuhr ich mit meiner Familie wieder zu Verwandten nach Tracadie, wo jeden Abend eine Versammlung oder Feier mit viel Essen (vor allem Truthahn) stattfand. Außerdem kam der Weihnachtsmann und übergab jedem Kind ein Geschenk, wobei ich dabei auch noch als Kind gezählt wurde. Die Bescherung fiel generell sehr üppig aus, vor allem für die Kinder. Oft war der Weihnachtsbaum nur noch zu erahnen und die Kinder wussten am Ende selbst nicht mehr, was sie alles bekommen hatten. Obwohl es zu Weihnachten noch nicht viel Schnee hatte, hatten wir die Möglichkeit auf einem zugefrorenen Fluss zum Schlittschuhlaufen zu gehen, was mir sehr gut gefallen hat, obwohl es sehr kalt und die Schlittschuhe sehr unbequem waren. Außerdem hat es eine Weile gedauert, bis ich dem Eis genug vertraut habe, um mich darauf zu wagen.

Weihnachten

In der ersten Schulwoche nach den Winterferien hat die Organisation noch ein Skiwochenende in Edmunston veranstaltet, an dem alle Austauschschüler teilgenommen haben. Leider war die Anfahrt sehr lange dafür, dass wir nur einen Nachmittag Skifahren konnten. Dafür waren die Pisten menschenleer und gut präpariert.

Kanadischer Winter

Nach unserer Rückkehr und nachdem es endlich kalt genug war, hat mein Gastvater im Garten eine Eisbahn gebastelt, um auch zuhause Hockey spielen zu können! Außerdem fing nach einem Schneesturm endlich die Skidoo-Saison an. So sind mein Gastvater und ich mehrmals nach dem Abendessen mit dem Schneemobil losgefahren auf den Trails rund um Moncton. Das war für mich tatsächlich eine der unwirklichsten Erfahrungen, als wir im Dunkeln durch den Wald gefahren sind.

An meinem letzten Wochenende in Kanada hat meine Familie extra noch einen Ausflug nach Tracadie unternommen, um nochmal Skidoo fahren zu gehen, außerdem wurden wir zum Eisfischen eingeladen. So sind wir mit einem großen Truck auf den zugefrorenen Fluss gefahren, wo wir einige Löcher ins Eis gebohrt und insgesamt über hundert kleine Fische gefangen.

Obwohl ich einen etwas holperigen Start und auch meine schlechten Tage hatte, war das Semester in Kanada für mich eine sehr bereichernde Erfahrung. Nicht nur habe ich sprachlich große Fortschritte gemacht, aber auch eine komplett andere Lebensweise inklusive ihrer Vor- und Nachteile kennengelernt. Außerdem habe ich mich selbst besser kennengelernt und bin offener an Dinge herangegangen. Ich habe verstanden, dass man nicht zu schnell urteilen darf und offene Kommunikation eine wichtige Rolle in Beziehungen spielt.

Abschlussfeier

Aber am allerwichtigsten habe ich eine zusätzliche Familie gefunden, in der ich immer willkommen bin.