„Mama, Papa, wenn ich groß bin, möchte ich mal an einem Ort leben, an dem ich Englisch sprechen kann!“ Dieser Wunsch meines 6-jährigen „Ichs“ nach seiner ersten Englischstunde ging für mich am 1.4.2022 in Erfüllung. Drei Monate alleine als Schülerin einer Highschool auf einem fremden Kontinent und das Abenteuer meines Lebens war garantiert!
Hi, ich bin Anna und war von April bis Juni 2022 in Delta, einem Vorort von Vancouver, British Columbia.
Seitdem ich wieder zurück bin, höre ich immer nur: „Na, wie war´s in Kanada, erzähl doch mal!“. Aber wie erklärt man jemandem, der gerade einmal so weiß, dass Kanada im Norden Nordamerikas liegt, ein ganzes Leben?
Mittlerweile bin ich schon ziemlich geübt im Beantworten dieser Frage und versuche hier für euch, die wichtigsten Punkte zusammenzufassen.
Abschied und Hinflug
Eins kann ich sagen: Der Abschied von einem Leben, das nach wenigen Monaten genauso weitergeht, ist absolut gar nichts gegen den Abschied von einer Zeit, die man nie wieder so erleben wird.
Glücklicherweise hatte ISEC für mich eine Familie in Delta gefunden, die mit meiner Zöliakie gut umgehen konnte, sodass ich mir diesbezüglich keine Sorgen machen musste. Und so stand ich am 1. April 2022 am Flughafen in Hamburg. Knapp am Übergepäck vorbei mit zwei riesigen Koffern ging es für mich zunächst von Hamburg nach Amsterdam und dann über Grönland hinweg direkt nach Vancouver. Anders als vermutlich bei vielen anderen Internationals war ich den gesamten Flug über noch sehr traurig und habe mich eher wenig auf die bevorstehenden Monate gefreut. Ich war vorher noch nie alleine geflogen und war deshalb umso überraschter, wie einfach alles für mich war. Die Immigration und alles andere verlief ebenfalls reibungslos und es gab auch kaum noch Corona bedingte Einschränkungen. Direkt als ich den Zollbereich verlassen hatte, hörte ich eine hohe Stimme „Is this Anna?“ sagen. Und dann habe ich meine Gastfamilie zum ersten Mal gesehen. Mein erster „Kulturschock“ war, dass sie alle so klein waren, denn in Deutschland gehöre ich mit meinem 1,60m eher zu den „Kleinen“. In Kanada hingegen, war ich mit meinen Gasteltern auf Augenhöhe. Nach einer kurzen Begrüßung bot mein 4 Jahre alter Gastbruder mir an, meinen Koffer zu tragen, der doppelt so schwer war wie er selbst. Dies scheiterte natürlich und dann war der Bann gebrochen 🙂
Gastfamilie

best hostfam❤️
Meine Gastfamilie bestand aus meinem Gastvater Mike (Feuerwehrmann), meiner Gastmutter Nicoli (Lehrerin), meinen Gastbrüdern Corbin (11) und Dax (4) und einem sechsmonatigen Labradorwelpen namens „Peter Barker“ genannt „Peedy“ 😉
Im Gegensatz zu vielen meiner Freude dort hatte ich keine internationalen Gastgeschwister und war auch erst das zweite International der Familie. Das Haus meiner Gastfamilie war sehr groß und ich hatte ein sehr großes Zimmer im Basement mit eigenem, kleinen Bad, was ich als sehr komfortabel erfunden habe. Die Einrichtung des Hauses war typisch kanadisch und eher rustikal mit einem Kamin und einem riesigen Fernseher darüber. Meine Gastfamilie war sehr liebevoll und lustig. Sie haben sehr viel Zeit in der Familie verbracht, mindestens einmal pro Woche hatten wir Besuch von Tanten, Onkeln, Großeltern oder Cousinen. Ich habe es als sehr schön empfunden, dass meine Gastfamilie mich voll und ganz in ihr Familienleben miteinbezogen haben und schon nach wenigen Wochen habe ich mich wie ein Teil ihrer Familie gefühlt. Ich habe es als großes Privileg empfunden, zwei Gastbrüder zu haben. Gerade am Anfang meiner Zeit in Delta hat es mir sehr geholfen, viel Zeit mit ihnen zu verbringen. Außerdem war es für eine tolle Erfahrung, einen Hund in der Familie zu haben und Peter war so eine tolle Unterstützung, gerade, wenn es mir einmal nicht so gut ging. Auch jetzt nach meiner Rückkehr denke ich noch oft an meine Gastfamilie und freue mich, wenn ich sie im nächsten Jahr im Sommer besuchen komme. Meine Familie hat mit mir außergewöhnlich viele Ausflüge unternommen und sich sehr bemüht, mir verschiedene Seiten von Vancouver zu zeigen: Theaterbesuch, Kino, Strände, Naturschutzgebiete, Vancouver Aquarium, Capillano Suspension Bridge Park und vieles mehr. Eigentlich war es mein größtes Ziel, einen authentischen Eindruck vom Leben in Kanada zu erhalten und das ist mithilfe meiner Gastfamilie wirklich gelungen, z.B. dass es am Wochenende immer bacon, pancakes und maple sirup gab oder das gemeinsame Schauen einer Eishockey Spiels.
Highschool
Erst einmal: Ja, es stimmt! Kanadische Schulen sind viel besser als deutsche. Ich habe wirklich alles an meiner Highschool geliebt! Ich hatte das große Glück, ein „Scorpion“ der Sands Seconday School in North Delta zu sein. Die Schule begann morgens meistens um 8:30 a.m. und endete immer um 2:45 p.m. Hausaufgaben gab es keine, dafür ist aber auch nie auch nur eine Unterrichtsstunde ausgefallen. Ich hatte mir einen Aufenthalt an einer typisch nordamerikanischen Highschool gewünscht und die Sands Secondary School war dafür perfekt!
Es fing schon damit an, dass mein Schulweg aus einem Spaziergang von nur fünf Minuten bestand. Unsere Schulfarbe war grün und in genau dieser Farbe waren auch das Logo und die Schule selbst. Wir hatten eine Sporthalle wie im Film und auch in den Fluren waren überall die typischen „Lockers“. Meiner hatte die Nummer 722 und ich bin mit Freude jeden Tag vor der Schule zu dem Gang gelaufen, um meine Jacke darin zu verstauen.
Aufgrund von Corona hatten wir jeden Tag dieselben vier Fächer, die ich glücklicherweise frei wählen konnte, da ich ja nur drei Monate dort war. In der Hoffnung, in Deutschland nicht zu viel zu verpassen, habe ich die Fächer „English Creative Writing and Composing“ und „Math Pre-Calculus 11“ gewählt. In Deutschland war ich in der 10. Klasse, in Kanada konnte ich aber je nach Bedarf auch Kurse der 11. besuchen. Um auch ein bisschen Spaß zu haben, habe ich noch „Film and Television“ und „Media Arts“ gewählt. Dies war eine sehr gute Entscheidung, weil diese Kurse aus Schülern der Klassen 11 und 12 bestand und ich so auch Kontakte zu älteren Schülern knüpfen konnte.
Was sich ebenfalls von den deutschen Schulen unterscheidet, ist der „School Spirit“. Allein während meiner drei Monate gab es mehrere „Spirit Weeks“ und ich hatte das Gefühl, jeder Schüler und jeder Lehrer war stolz, ein Scorpion zu sein. Oft wurde in den Pausen laut „Go Scorpions!“ gerufen und alle haben gejubelt. Fast jeder kam zu den zahlreichen außerschulischen Events, um die Sands anzufeuern. Dadurch war ein ideales Lernklima garantiert. Anders als in Deutschland sind kanadische Schulen nicht in Schulformen wie Gymnasium, Realschule etc. geteilt, sondern gehen alle zusammen zur Schule. Auch das ist mir sehr positiv aufgefallen.
Kanada und Vancouver
Bevor ich überlegt hatte, einen Term in Kanada zu verbringen, wusste ich nicht viel über dieses Nachbarland der USA. Das liegt irgendwo in Amerika, ist kalt und so.

Zwischen Pazifik, Coast Mountains und Downtown
Obwohl ich mir Kanada nie als Ziel meiner Auslandszeit vorgestellt hatte, hätte ich es mit Vancouver nicht besser treffen können. Diese Stadt hat so viel zu bieten und selbst nach drei Monaten endlosem sightseeing sind uns die Ideen nie ausgegangen. Die Stadt ist wunderschön gelegen und ich war jedes Mal erstaunt, dass Strand und Berge beide so schnell zu erreichen waren. Ich habe Vancouver als divers und offen wahrgenommen und hatte das Gefühl, dass dort jeder willkommen war. Oft wurden wir in der Stadt von Fremden angesprochen und haben uns über die kuriosesten Themen unterhalten. Für mich war Downtown Vancouver ca. eine Stunde mit dem Bus und dem Skytrain (sehr empfehlenswert, ein Highlight an sich!) entfernt und zusammen mit Freunden sind wir mehrmals die Woche dort hingefahren.
Ende April hatte ich das Privileg, mit dem International Program des Schulbezirks Delta einen Tagesausflug zu der Hauptstadt Vancouver Islands, Victoria, zu unternehmen und durfte mir auch diese Stadt anschauen.
Die Kanadier waren mir gegenüber immer sehr höflich und es ist mir sehr leichtgefallen, Kontakte mit ihnen zu knüpfen. Ich habe mich in Kanada sehr sicher gefühlt und fand es sehr spannend, mich mit ihren Vorurteilen Europa und auch Deutschland gegenüber auseinanderzusetzen. Zwar habe ich weniger dumme Fragen gestellt bekommen als erwartet, aber trotzdem waren einige echt amüsante dabei – hier mein Favorit: „So if you´re German, why do you keep telling us you are from Europe?“
Internationale Freundschaften
Natürlich war ich nicht die einzige internationale Schülerin in Delta. Allein an meiner Schule waren wir mehr als 80 Internationals aus aller Welt, natürlich auch andere Deutsche. Obwohl ich mir von Anfang an fest vorgenommen hatte, um eben diese einen großen Bogen zu machen – die kann ich ja auch in Deutschland kennenlernen – wurde ich gleich in meiner ersten Stunde neben ein deutsches Mädchen gesetzt und wie es der Zufall wollte, haben wir uns auf Anhieb sehr gut verstanden. Nach und nach haben wir immer mehr Zeit miteinander verbracht und ja, wir sprechen immer noch Englisch miteinander, auch, wenn dies für einige Leute komisch wirkt. Auch jetzt haben wir noch täglich Kontakt und vor wenigen Tagen hat sie mich zum ersten Mal in Hamburg besucht.
Aber ich habe nicht nur Deutsch, sondern auch Schüler anderer Nationalitäten kennengelernt, vor allem Italiener und Brasilianer. Auch diese Kontakte wurden zu einem wichtigen und spannenden Teil meiner Zeit, weil ich dadurch nicht nur die Kultur Kanadas, sondern auch etwas über andere Kulturen gelernt habe und so gelernt habe, einen völlig neuen Blick auf Deutschland zu werfen. Ich finde es total cool, dass ich jetzt Freunde auf der ganzen Welt habe und bin darüber sehr glücklich!
Mein Leben nach der Zeit in Kanada
Die letzten zwei Wochen vor meinem Abflug war ich sehr besorgt, wie es wohl sein würde, wieder zurück zu sein, aber dies war völlig umsonst. Jetzt bin ich schon seit zwei Monaten wieder zurück in Deutschland und seitdem ist viel passiert. In dem Moment, in dem ich wieder in Hamburg gelandet bin und meine Familie und Freunde mich strahlend empfangen haben, hat es sich angefühlt, als sei ich nie weggewesen. Dank Social Media ist es mir leichtgefallen, mit allen meinen Freunden und Verwandten viel Kontakt über das Vierteljahr zu halten und dadurch hatten wir gar nicht soooo viel Nachholbedarf – naja, das sage zumindest ich, mein Umfeld sieht das vielleicht auch anders 😉
Mittlerweile bin ich wieder völlig in Deutschland angekommen, bin jetzt seit fast einem Monat in der Oberstufe und habe viel über meine Zeit im Land des Ahorns nachgedacht. Manchmal höre ich ein bestimmtes Wort oder einen Song, der mich an Kanada erinnert und muss dann lächeln. Es fühlt sich so surreal an, dass ich vor wenigen Wochen noch in Vancouver gelebt habe!
Also an alle da draußen, die gerade überlegen, wo oder ob überhaupt sie eine Auslandszeit erleben sollen – JUST DO IT! Traut euch und macht euch nicht so viele Gedanken. Gerade an den schlechten Erfahrungen während eines solchen Aufenthaltes wächst man ungemein und es wird nie wieder eine so gute Chance geben, nicht nur in einer echten kanadischen Familie zu leben, sondern dort auch zur Schule zu gehen. Ich habe in dieser Zeit so viel mehr als nur Englisch gelernt. Ich bin so viel selbstständiger und auch selbstbewusster geworden. Ich habe so viel Neues gesehen und ausprobiert, habe eine ganz neue Seite von mir selbst kennengelernt und vieles gemacht, was ich mir vorher nicht einmal im Traum zugetraut hätte.
Dank ISEC habe ich Freunde fürs Leben und eine zweite Familie gefunden, denn Vancouver wird sich immer wie „Zuhause“ für mich anfühlen und ich kann es kaum erwarten, alle wiederzusehen. Jedes Auslandsjahr ist so einzigartig und das ist genau das, was es so besonders macht. Natürlich ist man auch einmal traurig oder frustriert, aber das wäre man in Deutschland ja auch.
Auch wenn bei mir nicht immer alles ideal gelaufen ist, würde ich keine Sekunde meiner Zeit ändern wollen und bin sehr dankbar, dass ich dies erleben durfte.