Wie Kanada zu meinem zweiten Zuhause wurde

Erfahrungsbericht von Selene ThiemeBritish Columbia

Niemals hätte ich geahnt, dass ich irgendwo auf der Welt ein zweites Zuhause finden würde. Nach meinem Auslandsjahr in Kanada sieht das jetzt aber anders aus, dort habe ich genau dieses gefunden. Würde ich das jetzt meinem früheren Ich erzählen, wäre dieses sicher erstaunt, immerhin ist Kanada fast 9.000 Kilometer von meiner Heimatstadt Berlin, meinen Freunden und Familie entfernt.

Man muss ehrlich sagen, die Anfänge meines Auslandsjahres waren eher holprig. Ich hatte, wie vieler meiner damaligen Mitschüler, vor nach der 10. Klasse ein Jahr ins Ausland zu gehen, um dort mein Englisch zu verbessern, neue Freundschaften zu knüpfen, und ein anderes Land mal aus der Sicht einer dort lebenden Person kennenzulernen. Dass ich mich für Kanada entschieden habe, lag wohl an meinem Bruder, der drei Jahre zuvor begeistert aus Vancouver zurückkam, nachdem er ein Jahr dort verbracht hat. Als dann alles für mein Auslandsjahr organisiert war, ich eine Gastfamilie gefunden hatte und ich eigentlich bereit war zum Abfliegen, kam der Schock: Corona. Also geschlossene Grenze, keine Flüge und ein weltweiter Lockdown. Damit fiel dieser Plan ins Wasser.

Weil mir die Auslandserfahrung trotzdem immer noch sehr wichtig war, hatten wir die Idee, das Ganze nach dem Abitur nachzuholen. Das Angebot war verlockend: High-School 12. Klasse – komplett freie Kurswahl, ganz viele Jugendliche in meinem Alter und die Möglichkeit bei allen Abschlussevents mitzumachen. Im Jahr 2022 sollte es also so weit sein!

Durch die zwei Jahre in Berlin hatten sich meine Interessen dann ein wenig geändert und ich wollte näher an die Stadt Vancouver heran und auch mein Hobby reiten sicher weitführen können. So stoß ich mit meiner Familie auf Chilliwack, eine Stadt in British Columbia, die umgeben von Natur (und tausenden Maisfeldern 😉 ) circa eineinhalb Stunden mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von Vancouver entfernt war. Dort, in der Chilliwack Secondary School, gab es ein Reitprogramm, welches mich dann letztendlich überzeugt hat.

Ende August 2022, nach einem schweren Abschied von meinem vertrauten Umfeld, saß ich dann also endlich im Flieger auf dem Weg nach Vancouver. Beim Umsteigen in München traf ich sehr viele andere Austauschschüler, mit den ich mich später am Flughafen von Vancouver zusammentat, um das Chaos bei der Ankunft zusammen zu meistern, was super funktioniert hat. Danach wurden wir alle von unseren jeweiligen Gasteltern abgeholt und sind nach Hause gefahren.

Ich glaube besser hätte ich es mit meiner Gastfamilie nicht treffen können. Teil meiner kanadischen Familie waren meine Gasteltern, zwei Katzen, ein Hund und noch zwei Gastschwestern, die aber nur jedes zweite Wochenende da waren. Das war für mich eine erstmal eine Umstellung, da ich zuhause in einer Patchwork – Familie mit mehreren Geschwistern groß geworden bin.

Meine Gastfamilie und ich

Mit meiner Gastfamilie, die mich wie ihr eigenes Kind behandelten, habe ich viel erlebt. Nicht selten sind wir (Thrift-)Shoppen, Essen, auf Spaziergänge, nach Vancouver oder Kayak fahren gegangen.

Kayak fahren in einem der vielen Seen in British Columbia

Aber auch in der Okanagan, eine Region, die sich sehr von der um Chilliwack unterscheidet und in Whistler haben wir jeweils ein Wochenende verbracht.

Neben solchen Unternehmungen, haben meine Gastmutter und ich uns an vegetarischen Rezepten ausprobiert, im Gemüsegarten gearbeitet, im Pool entspannt oder auch einfach mal einen Film zusammen geschaut.

Doch gerade, wenn man genau so wie ein Familienmitglied aufgenommen wird, gibt es Auseinandersetzungen, die aber ganz normal sind und die sich bei mir auch immer geklärt haben.

Im zweiten Semester kam dann noch eine Gastschülerin aus Rom in meine Gastfamilie, was um ehrlich zu sein auch erstmal ein kleiner Schock war, da ich die Wohnsituation, wie sie war eigentlich perfekt fand.

Doch wie sich trotz Startschwierigkeiten unter anderem wegen der Sprachbarriere herausstellte, war das das Beste, was mir hätte passieren können. Wir sind in diesem zweiten Halbjahr durch dick und dünn gegangen und sind dadurch so stark zusammengewachsen, dass wir uns direkt ein paar Wochen nach der Rückkehr nach Europa wiedergesehen und zusammen Urlaub gemacht haben. Mit meiner Gastfamilie stehen wir auch immer noch unglaublich gut im Kontakt und können es kaum erwarten sie nächstes Jahr zu besuchen.

Die Schule in Kanada ist sehr anders als in Deutschland. Ich würde sagen besser, aber das könnte auch an meiner Kurswahl liegen, bei der ich komplett freie Wahl hatte.

Das Schulfachsystem meiner Schule war so designet, dass ich für das erste Semester jeden Tag die gleichen 3 Fächer und ein Fach im Wechsel hatte.

Mein Schultag begann also um 8:29 (Ich weiß, eine sehr merkwürdige Zeit) mit Food Studies, wo ich jeden morgen mein Wissen und meine Skills rund ums Kochen und Backen vertieft habe. Da man bei diesem Fach in einer Gruppe gekocht oder gebacken hat, kam man mit anderen Schülern super in Kontakt und ist gut gestärkt in den Tag gestartet.

Um 9:56 ging dann meine nächste Stunde los, in der ich abwechselnd Strength Class, also ein Kurs, in der man sich im Fitnessstudio der Schule frei austoben konnte und AP (Advanced Placement) Biology hatte. In beiden Fächern hatte ich unglaublich viel Spaß, obwohl ich trotz Biologie Leistungskurs in Deutschland in AP Biology ganz schön gefordert wurde.

Danach gab es dann die 45-minütige Lunchpause, in der meine Freunde und ich das leckere Cafeteria Essen, das schuleigene Café oder den Tim Hortons um die Ecke genossen habe.

Nach Lunch um 12:07 stand für mich Literary Studies 11 auf dem Plan, was sprachlich gar kein Problem war. 🙂 Um den Tag noch mit etwas entspannten abzuschließen, war meine letzte Stunde, die um 13:33 begann, dann noch töpfern, wo wir funktionale oder dekorative Sachen aus Ton konstruiert haben.

Im 2. Semester sah mein Stundenplan dann etwas anders aus. Zwar hatte ich eigentlich Painting and Drafting, also Zeichen und Malen gewählt, das war dann aber nichts für mich, weshalb ich zu Sport wechseln wollte, was super easy funktioniert hat. Ich hatte in der ersten Stunde nun Sportunterricht, in dem man in verschiedenen Units Einblicke in alle möglichen Sportarten hatte und super in Kontakt mit anderen Schülern kam. In der zweiten Stunde hatte ich weiterhin AP Biology und Strength Class im Wechsel, nach Lunch stand Environmental Science (also so etwas wie Biologie, nur noch mehr auf Umweltschutz bezogen) auf dem Stundenplan. Das galt aber nur für Montag und Freitag, an den anderen Schultagen sind meine Kurskameraden und ich mit einem der typischen gelben Schulbusse (Ich muss sagen, sie sehen spannender und toller aus, als sie letztendlich sind) zu „Jim Greendyks Performance Horses“ gefahren. Dort hatten wir in Kleingruppen abwechselnd professionellen Unterricht, Theorie und Stallpflege gehabt. So etwas wäre in Deutschland wahrscheinlich nicht denkbar, hat den Schalttag aber gelockert und total viel Spaß gemacht, was auch an den Menschen liegt, die uns dort begleitet haben.

Die Mitglieder meines Reitprogramms

Das ist überhaupt so in Kanada, dass die (meisten) Menschen superfreundlich sind. Auch von den Lehrern war ich so begeistert, weil diese echt ein Wohlfühlklima schaffen. Ich hatte das Gefühl, dass sie wirklich für die Schüler da waren. Mein Biologielehrer zum Beispiel hat sich immer erkundigt wie es mir geht und stand mir auch in schwierigen Situationen jederzeit mit einem Rat beiseite. Für mich war dieser Lehrer wirklich eine Vertrauensperson.

Nach der Schule gab es saisonal verschiedene Schulsportteams, wie Volleyball, Basketball, Fußball, Curling (Da habe ich nicht teilgenommen, bereue es aber im Nachhinein), Rugby, Wrestling, Cross-Country und Track and Field. Ich habe ohne jeglicher Vorerfahrung an Cross-Country teilgenommen, war aber auch aktiver Teil des Fußballteams. Ich kann jedem zukünftigen Exchange – Student nur empfehlen Teil eines Sportteams zu werden und bei den Try Outs mitzumachen. Durch die Schulteams findet man super Anschluss und findet richtig gute Freunde.

Wenn ich nicht gerade Fußball oder Cross County hatte, bin ich mit Freunden ins Lieblingscafé, zu Starbucks, zu Tim Hortons, ins Fitnessstudio, in die Mall oder im Sommer auch Mal an den See gefahren.

Trip mit anderen Austauschschülern nach Seattle

Am Wochenende haben meine Freunde und ich häufiger den Bus nach Vancouver genommen, sind zu saisonalen Fairs gefahren (so etwas wie Jahrmärkte) oder haben alles mögliche in Chilliwack gemacht. Unsere Schule, aber auch unser Schuldistrikt hat supercoole Trips geplant. Mit der Schule oder einzelnen Kursen war ich zum Beispiel an der University of British Columbia für einen Workshop, auf dem deutschen Weihnachtsmarkt oder Paintball spielen.

Der Schuldistrikt hat unter anderem zwei Whistler Trips, einen nach Seattle, nach Tofino (Vancouver Island), Vancouver und andere organisiert. Ich kann nur empfehlen, bei möglichst allen mitzumachen!!!

Am Ende des Schuljahrs stand auch noch Prom und Grad Cruise (eine Schifffahrt mit allen Abschluss Schülern) auf dem Plan, wo ich unvergessliche Erinnerungen gemacht habe.

Ich muss ehrlich sagen, so einfach war es für mich nicht anfangs kanadische Freunde zu machen. Zu Beginn meines Aufenthalts war ich noch sehr introvertiert gegenüber komplett fremden Personen, vor allem in einer großen Menge (heutzutage nach dem Jahr würde ich von mir eher das Gegenteil behaupten!), weshalb es eher einfacher war mich mit den anderen Austauschschülern zusammenzutun, die genauso überfordert von der Situation waren. Für mich war es von Beginn an dennoch ein Ziel nicht so viel mit anderen Deutschen zu tun zu haben, was mir auch easy geglückt ist.

Nachdem ich mich dann unglaublich gut mit zwei anderen Austauschülerinnen verstand, haben wir uns so ein bisschen als Dreiergruppe zusammengetan, was mir unglaublich viel Selbstbewusstsein gegeben hat (wir alle drei sind uns einig, dass wir noch nie eine Freundschaft hatten, in der man sich so sehr wohl fühlen konnte und die einem so viel bedeutet 🙂 )

Ich mit meinen zwei besten Freundinnen am Cultus Lake

In der Zwischenzeit hatte ich auch, vor allem über interaktive Kurse und Sportgruppen, kanadische Freunde gemacht. Nachdem das erste Semester vorüber war und ich mich komplett wohlfühlte, fingen auch die Kanadier an sich für mich zu interessieren und mich anzusprechen.

Jetzt zwei Monate nach dem Auslandjahr bin ich noch voll im Kontakt mit meinen kanadischen (und aus anderen Ländern kommende) Freunden, die schon planen mich in Berlin zu besuchen zu kommen oder mit mir Europa zu bereisen. Es gab auch manche Austauschschüler*innen, die immer unter sich geblieben sind und ich muss auch sagen, die Freundschaften aus anderen Ländern sind genauso viel Wert wie mit Kanadiern.

Abschließend kann ich jedem nur ans Herz legen, auch ein Auslandsjahr zu machen! Dieses Jahr hat mir so viel gebracht, dass ich der Meinung bin, dass das die beste Entscheidung war, die ich (bis jetzt) in meinem Leben getroffen habe. Ich kann es auch schon gar nicht erwarten nächstes Jahr zurückzukommen, da ich ehrlich gesagt ganz schön Kanada-Weh habe. 🙂

Prom!!!